Ich mache mir selten die Mühe, mit selbsternannten "Querdenkern" und Menschen zu reden, die hinter der Corona-Pandemie einen Inside-Job oder einen Plan zum Austausch irgendeiner Weltelite vermuten – aber genau das sollten wir alle häufiger tun.
Versteht mich nicht falsch, ich stimme hier nicht in Verschwörungstheorien oder ähnliches ein und halte dabei Reichsflaggen und Anti-Impf-Plakate hoch. Ich glaube daran, dass die Natur durchaus dazu in der Lage ist, Viren und Krankheiten zu produzieren, die für uns Menschen, auch wenn wir uns oft für unantastbar halten, sehr gefährlich sein können.
Auch habe ich Vertrauen in unsere Politik, die auf Grundlage wissenschaftlicher Erhebungen und den Beobachtungen (Achtung, hier steht viel zu oft Meinung – Wissenschaft kennt keine Meinungen, nur Empirie und Theorie) von Expert*innen Entscheidungen treffen.
Ich glaube daran. Aber wie sollten wir mit den Menschen umgehen, die dies nicht tun?
Diskurs statt "Schwurbler" rufen
Es ist immer kritisch, sich kategorisch zusammen mit einer Gruppe an Gleichgesinnten über andere zu erheben. Wir haben ja Recht und die anderen eben Unrecht. Solche Aussagen sind eine Gratwanderung und schnell rutschen Menschen dabei in Vorurteile ab und schreiben andere Menschen als unveränderlich, untherapierbar oder minderwertig ab.
Solches Verhaltensweise sehe ich aber leider immer häufiger, wenn ich mit Menschen Rede, die sich in ihren Handlungen und in ihren Erkenntnissen an der Wissenschaft orientieren und Vertrauen in die deutsche Bundesregierung und ihre Entscheidungen haben.
Das sind Verschwörungstheoretiker, die sind verrückt geworden, der ist ein Schwurbler, hahaha jetzt geht der wieder auf eine Demonstration. Was viele Menschen, die aktuell gegen die Bundesregierung auf die Straße gehen aber viel eher sind: Sie sind verängstigt, verwirrt und haben das Vertrauen in die Welt verloren, in der sie häufig schon sehr lange leben. Es sind keine Spinner – es sind Menschen, die Hilfe brauchen.
Dem Vorurteilenden seine Vorurteile nicht bestätigen
Die konsequent Misstrauenden, mit denen ich in den letzten Wochen im Netz Kontakt hatte, wurden mit Tirade an Vorwürfen und Gegenargumenten befeuert – natürlich waren alle Gegenargumente und die meisten Vorwürfe vollkommen gerechtfertigt. Aber gerade die Kommunikation im Netz neigt dazu, schnell unsensibel zu werden. Und aus der Sicht eines Menschen, der jegliches Vertrauen in die Mehrheitsmeinung verloren hat, sehen diese Reaktionen wie folgt aus:
Person A: "Die, denen ich damals dummerweise vertraut habe – Politiker*innen, Journalist*innen, usw. – stecken alle unter einer Decke oder sind fehlgeleitet"
Reaktion: "Schaut alle, Person A ist verrückt geworden und ein Verschwörungstheoretiker. Aus diesem Grund kann keines seiner Argumente einen Wert haben."
Reaktion Person A: "Siehst du, die stecken alle unter einer Decke! Da hatte ich Recht! Die hören mir eh nicht zu. Die haben alle Unrecht."
Es kommt zu einer Außenseiterstellung, in der der Weg automatisch zu anderen vermeintlichen Außenseitern führt, die wiederum sehr viel Macht bekommen.
Zuhören, Verständnis zeigen, miteinander reden
Es ist unglaublich schwer, Verschwörungstheoretiker*innen empathisch und verständnisvoll gegenüberzutreten, wenn diese einem ohnehin kein Wort glauben und auch noch provozieren, pöbeln und Hass verbreiten. Leider ist Empathie genau aus diesem Grund umso wichtiger.
Um diese Menschen wieder vom Rande der Gesellschaft zu holen und in unsere Mitte zu bringen, braucht es also leider genau das. Wenn jemand fest daran glaubt, dass die Welt von einer Elite kontrolliert wird, muss das einen Ursprung haben und in einem Prozess entstanden sein.
"Warum glaubst du daran? Wie bist du zu dieser Meinung gekommen? Warum vertraust Du nicht mehr in das, woran die meisten Menschen glauben? Was müsste passieren, dass du wieder wieder vertraust? Welche Beweise willst du?" – Das sind Sätze, die im Internet sehr sehr selten fallen. Natürlich tun sie das nicht. Es sind persönliche Fragen, die am besten ohne zeitliche Verzögerung via Chat und persönlich gestellt werden.
Leider sind es auch genau diese Fragen, durch die wir verstehen könnten, warum jemand sich durch eine Verschwörungstheorie radikalisiert. Erst wenn wir die Herkunft dieser einem Krebsgeschwür ähnelnden Gedanken verstehen, können wir den Verängstigten, den Verunsicherten und den Misstrauenden weiterhelfen.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich daran.
Allerdings verstehe ich auch immer deutlicher, wie unmöglich das im Internet und während eines Lockdowns ist. Wir führen schließlich hauptsächlich Gespräche, in denen jeder bei einem Widerspruch ohne Weiteres abhauen kann.
Das Internet ist kein Neuland, es ist fucking gruselig.
Liebe Grüße, Ben
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